Die Sache mit dem Perfektionismus und wieso hier eigentlich so lange nichts kam

Es ist der 15. Mai, 16:11 Uhr und ich starre auf meine Laptoptastatur und weiß mal wieder nicht weiter. In meinem Kopf tausend Gedanken und Gefühle. Ich scrolle durch meine Notizen, sehe all die angefangenen und zur Hälfte beendeten Texte, versuche mich dazu durchzuringen, mich endlich für einen zu entscheiden und gebe dann wieder auf und beginne einen neuen. So läuft das jetzt seit Monaten. Wir wurden oft gefragt, wieso hier eigentlich so lange kein Blogpost kam – tja, so wirklich weiß ich es selbst nicht. Es lag jedenfalls nicht daran, dass ich nichts geschrieben habe. Im Gegenteil, ich habe vermutlich auf regelmäßigerer Basis als im letzten Jahr diverse Blogposts angefangen, weitergeschrieben, überarbeitet, beendet… und am Ende doch nie veröffentlicht. Manchmal, weil mir dann die passenden Fotos fehlten. Manchmal, weil mir der Zeitpunkt nicht passend erschien. Manchmal, weil mir das Thema dann doch zu kontrovers war. Oder zu negativ. Oder zu privat. Oder zu schwammig. Oder zu nichtssagend. Oder sonst irgendwas „zu“. Und dann habe ich jedes Mal die Notiz wieder geschlossen und mich um andere Themen gekümmert, bis mir irgendwann eine neue Idee kam, die am Ende aber auch nicht gut genug war.
Die Perfektionisten unter euch kennen diese Szenarien sicher so oder so ähnlich (wobei ich denke, dass fast jeder Mensch in gewisser Weise perfektionistische Züge an sich hat, selbst wenn man sich nicht als per se „perfektionistisch“ beschreiben würde). Sicherlich ist das bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt, aber ich glaube, fast jeder war schon mal in einer Situation, in der er dachte: „Das ist nicht gut genug.“, „Da ist noch Luft nach oben.“, oder „Das kann ich noch verbessern.“ Und das tückische an diesen Gedanken ist, dass sie natürlich meist auch an sich richtig sind. Man kann eigentlich alles immer irgendwie irgendwo noch verbessern. Nur fertig wird man dann halt nie. Und das macht einen dann als Perfektionisten meistens nur noch unzufriedener.
„Done is better than perfect.“ „You were born to be real, not to be perfect.“ „Strive for progress not for perfection.“ – rational ist mir das alles klar. Es dauert nur oft lange, bis das im Unterbewusstsein ankommt – oder passiert manchmal auch nie. Ich habe mich damit in den letzten Monaten intensiv beschäftigt und ich bin froh sagen zu können, dass ich in vielen Bereichen meines Lebens glücklicherweise meinen Perfektionismus bereits einigermaßen „abgelegt“ habe – auch wenn das wohl der falsche Begriff ist. Treffender wäre wohl eher „gezähmt.“ Ich habe erkannt, dass er mich in vielen Dingen zwar weiter bringen will, das häufig gelingt, aber am Ende oft auch leider eben gerade nicht. Und ich kann daher meist freundlich dankend ablehnen, wenn er mal wieder Hallo sagt und eine weitere mögliche Verbesserung vorschlägt. Nur eben nicht immer.
Aber: auch das gehört dazu. Der Gedanke, meinen Perfektionismus komplett ablegen zu können oder zu müssen, ist natürlich auch an sich schon wieder perfektionistisch (Hallo Teufelskreis). Ein Rest wird immer bleiben – und das ist okay so. Genauso, wie ich vermutlich nie ein Mensch sein werde, bei dem niemals Unordnung in der Wohnung herrscht (ja, tatsächlich geht Perfektionismus nicht unbedingt mit Ordnung einher), werde ich vermutlich auch nie ein Mensch sein, der mit sich selbst und mit allem, was er so fabriziert, auf Anhieb zufrieden ist.
Aber: muss ich ja auch nicht. Wie quasi alles im Leben hat der Perfektionismus seine schlechten, aber natürlich auch seine guten Seiten. Und die anzuerkennen, ist mindestens genauso wichtig, wie sich der „Schattenseiten“ bewusst zu werden. Ich mag es, das mein Perfektionismus mich danach streben lässt, mich stetig zu verbessern, denn häufig komme ich dadurch auch wirklich weiter. Ich mag es, dass ich dadurch oft erst mal abwarte, bevor ich etwas veröffentliche, da ich so am Ende selten etwas bereue. Ich mag es, dass ich über fast alle meiner Entscheidungen wirklich gründlich nachdenke und fast alles auch gründlich ausführe. Und ich mag es, dass ich mich durch meinen Perfektionismus ständig selbst reflektiere – denn obwohl das auch sehr oft anstrengend und kontraproduktiv ist, ist es auch der Schlüssel zu unheimlich viel Selbsterkenntnis. Und was ist schöner, als wenn man plötzlich eine neue Erkenntnis erlangt?
In diesem Sinne kann ich sagen, dass mein Perfektionismus inzwischen wie ein netter Mitbewohner in einer Zweck-WG für mich geworden ist. Kein Feind, kein richtig guter Freund – halt irgendwas dazwischen. Wir koexistieren friedlich nebeneinander her. Er bringt mir viel – aber eben nicht alles.
Daher veröffentliche ich heute diesen Post, ohne weiter darüber nachzudenken, ohne ihn noch mal zu verbessern, ohne ihn schon wieder in Frage zu stellen. Egal, ob er perfekt ist oder nicht. Und hoffe, dass er vielleicht ein paar Perfektionisten/-innen unter euch ein bisschen weiterhilft und eventuell euch eine neue Perspektive eröffnet.
Hey Lena,
ich freue mich wirklich unfassbar über den neuen Blogbeitrag!
Schön, dass du das alles mit uns teilst.
Hallo Lena,
Ihr seid Ewigkeiten meine Lieblings-Blogger gewesen, allerdings bin ich auch ca so alt wie ihr (und heiße übrigens auch Leonie und wohne ca 1h von euch und bin sogar beruflich teils in Köln unterwegs :D) und wie ihr es sicherlich auch teils kennt ist es beruflich bei mir sehr stressig geworden und ich habe mich eben gewundert, dass ich von euch ewig nichts gehört habe. Dabei konnte ich Produkte, die ihr beide liebt nahezu blind nachkaufen, weil ich da offenbar ein ähnlicher Haupttyp bin, so hell wie du, aber die Haare mehr wie Leonie und halt im Projektmanagement nicht wie ein Kanarienvogel rumlaufen kann. 😀 Das passte bei euch immer alles perfekt 😉
Es war immer schön euch zuzusehen und man hat immer ein Bisschen vermisst so eine Freundin zu haben wie ihr sie gegenseitig habt. 🙂 (ich bin überwiegend mit Männern befreundet :D)
Es ist schade, dass du offenbar sehr viel an dir zweifelst. Ich hatte da Phasenweise auch immer wieder Ärger mit und es hat mir einfach oft mehr kaputt gemacht als ganz. Aber man macht das ja auch nicht, weil es so witzig ist 😀
Nimm dir die Zeit für dich und versuche zu merken, dass du niemals perfekt sein musst und nicht perfekt auch nicht immer schlecht heißen muss. 😉
Mir taten in so Phasen übrigens immer wie Texte (vorallem die alten) von Julia Engelmann gut. Ich habe zwar oft genau das entgegen gesetze Problem wie sie, aber trotzdem hat sie bei mir oft einen Tag, an dem ich das Gefühl hatte ich bekomme aktuell nichts gut genug hin, zu einem Tag gemacht an dem ich mir dachte schaffe ich wohl! 🙂
Vielleicht tut sie dir ja auch mal gut 😉
Ich wünsche dir viel Glück und das du deine eigenen inneren Kämpfe immer gewinnst und finde es toll, dass du das mit uns teilst ❤️
Liebe Grüße
Leonie
Yay! Freue mich sehr, mal wieder was von dir zu lesen, liebe Lena.
Perfektionismus ablegen ist eine schwierige Sache. Denn es ist genau wie du schreibst, man KANN es immer besser machen. Es ist nie perfekt. Mich mit dem ‚gut genug‘ abzufinden und anzufreunden fällt mir auch sehr schwer – gerade bei Dingen, in die ich sehr viel Arbeit stecke, hindert es mich daher völlig vor dem Abschließen. Ich habe nicht nur Angst meinen eigenen sondern auch den Ansprüchen anderer zu genügen – doppelter bzw. vielfacher Druck lastet also auf solchen Aufgaben -.- Lass uns doch einen Pakt schließen: ich stelle meine unperfekte Dissertation fertig (*panik*) und du lässt weiter deinen ungefilterten Gedanken freien Lauf – sie lesen sich nämlich sehr angenehm 🙂
Grüße
Anne
Sehr sehr interessanter Blogpost! Ich zähle wohl zu den Menschen, die sich nicht als perfektionistisch bezeichnen würden, was natürlich nicht heißt, dass ich mein bestes geben möchte und immer nach persönlicher Verbesserung strebe. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass gerade wenn seine Arbeit von vielen Menschen gesehen/ gelesen und auch kritisiert wird, dass perfektionistische Züge Kreativität und Motivation eher einschränken. Ich finde, du solltest dir nicht zu viel Druck machen, in deinen Augen „nicht perfekte“ Blogposts zu veröffentlichen – ich denke nämlich, dass der Großteil eurer Leserschaft genau solche Posts sogar schätzt 🙂
Alles liebe dir!
Janine
https://walkinmysneaks.blogspot.com
Liebe Lena,
meine Güte, habe ich das nötig – vielen Dank für deine tollen Worte! Als absolute Perfektionist bin ich momentan in einer sehr schwierigen und harten Phase, die mit wenig Selbstbewusstsein und vieeelen Selbstzweifeln einhergeht. Aber ich kämpfe mich durch. Und wie du habe ich auch erkannt, dass der Wille, das alles abzulegen und komplett anders zu werden, schon wieder unfassbar perfektionistisch ist. Jap, was für ein Teufelskreis. Vielen Dank für die tollen (und ganz ehrlich: ziemlich perfekten) Worte 🙂
Liebe Grüße von Perfektionist zu Perfektionist,
Lea
Liebe Lena,
ich habe beim Lesen nur mitfühlen können! Manchmal habe ich eine extremere Phase, in der ich wirklich alles, was ich produziere, anzweifle und hinterfrage. Damit vergeht einem irgendwann der Spaß, der ja eigentlich der Antrieb für alles ist. Deshalb höre ich lieber mal weg, wenn sich zu viele Fragen in meinem Kopf häufen und mache einfach. Danke für deine ehrlichen Worte 🙂
Liebe Grüße, Esra
https://lovelylines.de/
Liebe Lena,
ich kann deine Worte so gut nachvollziehen, denn es geht mir oft ähnlich. Ich versuche den Perfektionismus abzulegen, denn ich stehe mir damit oft selbst im Weg.
Schön mal wieder was von dir zu lesen!
Viele Grüße,
Jasmine http://www.mamadiaries.de
Liebe Lena,
mir geht es oft genauso. Ich bin auch ein total Perfektionist und verzettel mit viel zu oft in Kleinigkeiten – übersehe das große Ganze und komme dank meinem Perfektionismus keinen Schritt weiter. Eigentlich stehe ich mir damit selber im Weg. Und das alles nur weil ich Angst habe vor dem Feedback Anderer – weil ich von anderen Menschen als nett/hübsch/gut informiert/ usw. wahrgenommen werden möchte. Ich bin seit ein Wochen dran, das zu ändern – indem ich mir beispielweise ein Zeit Limit setze und dann meine Arbeit abgebe bzw. veröffentlich und sie nicht zum 100sten Mal korrektur lese und überarbeite. Der Tipp mit dem Zeit-Limit hat mir bisher wirklich geholfen. Ich bin zwar dann oft nicht ganz zufrieden – aber den Zweck habe ich damit dann trotzdem erreicht und wenn ich dann Feedback bekomme, macht es mich einfach glücklich, weil ich sehe, dass ich mit weniger Aufwand auch viel erreichen kann.
Falls du noch mehr Tipps zum Überwinden von Perfektionismus hast…. hätte ich da schon eine Video-Idee für euch 😉
Danke, für deinen tollen Blogpost.
Juhuuuu, ein neuer Blogpost!!! 🙂 Ich merke, je öfter man sich mit anderen Leuten darüber unterhält, desto mehr merkt man, wir alle sitzen im selben Boot. Das beruhigt schon mal, stellt aber oft nicht diese leise Stimme ab, die einem sagt, dass die anderen trotzdem mehr drauf haben und das Eigene weniger wertvoll/intelligent/perfekt/schön/weise etc. ist. Das klingt vielleicht etwas kontrovers, aber in manchen Momenten stelle ich mir einfach die dümmste Person vor, die ich kenne, und sage mir „Die bekommt das hin und lässt sich nicht abschrecken, also mach es jetzt einfach auch! „. Funktioniert tatsächlich – manchmal. 🙂
Hi liebe Lena,
ich finde diesen Blogpost super. Einfach mal frei heraus äußern, was man fühlt, ohne darüber nachzudenken, was im Endeffekt von der Community erwartet wird (Ja… vermutlich hast du darüber Stunden lang nachgedacht, aber die Message dieses Textes ist ja u.a. dies nicht zu tun).
Ich selber bin zum Glück kein sehr perfektionistischer Mensch und würde dies ebenfalls als sehr anstrengend empfinden. Deshalb kann ich dir wirklich nur empfehlen, diese Veränderung weiterzuführen und zu stärken, auch wenn es gerade als öffentliche Person schwer fällt. Vielleicht ist durch diesen Text aber auch eine Art Stein gefallen, der euren Lesern nun auch das Gefühl gibt, nicht nur selber nicht perfektionistisch zu sein, sondern auch keine Perfektion vom gegenüber zu erwarten- denn das ist ja bekanntlich immer am einfachsten.
Es lebt sich einfach entspannter, wenn man nicht immer allem und allen möglichen gerecht werden möchte :).
In diesem Sinne- einen schönen, sonnigen Tag und Grüße aus Münster!
Liebe Lena,
so schön wieder von dir zu lesen 🙂
Ich denke, mit deinem Beitrag sprichst du vielen aus der Seele. Die Perfektionismus-Problematik kenne ich auch gut, ich arbeite im kreativen Bereich im Marketing und stelle mit oft die Frage „Geht da noch was?“ oder „Kann man das nicht noch optimieren?“ Und oft ist es tatsächlich so, dass ich mich schwer tue, eine Arbeit oder eine neue Idee zu präsentieren, weil ich einfach noch nicht zu 100% dahinterstehe. Dein wundervoller Text hat mich wieder daran erinnert, einfach mal zu machen und auszuprobieren und nicht schon im Vorfeld alles zu zerdenken und zu verkopfen.
Vielen Dank für deinen Post und ganz liebe Grüße
Mira
Hut ab zu so viel Ehrlichkeit Lena, das was niemand traut sich anzusprechen, tust du und das gewissenhaft und Stark.
Sehr schöner und authentischer Post! Find es gut, dass du auch die positive Seite vom Perfektionismus ansprichst, das vergisst man leider viel zu einfach. Der Spruch „done is better than perfect“ hilft mir auch manchmal in solchen Situationen, aber eben auch nur manchmal.
Liebe Grüße 🙂
https://akindmindblog.wordpress.com/
Liebe Leonie, liebe Lena! Ich verfolge euch schon jahrelang hier auf dem Blog, Instagram und Youtube. Heute hab ich mich mal wieder durch eure alten Blogposts geklickt und gemerkt, wie gerne ich diese immer gelesen habe. Ich verstehe, dass Instagram und Youtube mittlerweile euer Hauptfokus ist, und der Blog eher nur mehr mitläuft. Aber ich finde das sehr schade, da ich ihn immer sehr gerne gelesen habe. Also falls ihr in Zukunft vielleicht wieder einen Zugang zum Bloggen bzw. eure alte Leidenschaft dafür entdeckt, würde mich das sehr freuen – und ich denke auch einige andere treue Blogleser. 🙂
Alles Liebe, Stefanie von https://aroundabout.home.blog
Wann kommt denn endlich mal wieder was?